Das Papier, die Schlange, die Abarbeiterin

Nach mehreren Fußkilometern stand ich vor einem Geschäfts, dass genau das im Angebot hatte, was ich kaufen wollte. Das Geschäft hatte Bücher, Zeitschriften, Schulzubehör und eine kleine Ecke mit guten Papieren. In dieser kleinen Ecke gab es auch genau das Papier, das ich haben wollte. Einzeln. Wenn Papier im Singular zu kaufen ist, ist es vor allem eins: teuer. Dafür aber auch ganz gut. Gut hinsichtlich der Farbigkeit, der Haptik, der Verarbeitung und auch hinsichtlich der möglichen Weiterverarbeitung. Auf billigen Papieren trocknet mitunter Tinte schlecht und ungleichmäßig, hält Toner nicht richtig oder verläuft Druckertinte. Und zu diesem Papier gab es sogar noch gefütterte Umschläge und Karten, die im Gegensatz zum preisgünstigeren Substitut auch vorgenutet sind, so dass kein Falzbruch eintsteht. Das Einzige, was ich an diesem Papier bemängeln würde, ist die Tatsache, dass der Hersteller auf jeden Bogen, auf jede Karte, auf jeden Umschlag einen zwar kleinen, aber doch sichtbaren Barcode gedruckt hat. Kein Haftaufkleber, wie es andere Hersteller tun. Nein – ein fester Aufdruck. Das Leben ist halt immer nur fast perfekt. Der Apfel im Paradies war schließlich auch nicht ganz koscher…

Ich stand also vor dem frohen Regal meist gepuderter Farben und wählte mir die schönsten Farbtöne aus, je drei von jeder Sorte. Dazu nahm ich natürlich nicht die abgegriffenen Seiten von oben, sondern stets aus der Mitte. Von dort, wo noch keine Ecken abgestoßen oder Ränder gesplissen sind, wo noch kein Dreck von der Straße fingerförmig abgemalt ist.

Vorsichtig ging ich mit dem hübschen Stapel zur Kasse samt Reptil davor. Vor dem Kopf des Reptils stand eine Frau mit ausgeprägter Adipositas in einer weiße Bluse hinter der Theke. An ihr war leider nichts hübsches, nichts elegantes. Nicht einmal ein freundliches Lächeln oder ein netter Satz drang aus Ihrem Leib. An ihr war – zumindest in diesen Minuten – nichts, was ein positives Attribut verdient hätte. Sie bediente nicht die Kunden in der Schlange. Sie arbeitete die Schlange ab. Man konnte ihr richtig ansehen, wie die Arbeit genau das war, was sie sich nicht unter „erfüllend“ oder „befriedigend“ vorstellte.

Als ich an der Reihe war, kam rasch der Punkt, an dem ich mir innerlich vorbete, die Ruhe zu bewahren. Nicht nur, dass die Bedienung Abarbeiterin aus der Nähe noch unangenehmer war und man ihre groben, verhornten Hände mit schlechtgepflegten Nägeln sah. Sie war auch offensichtlich nicht von mir bzw. meinem Kauf angetan: „Wohl von jedem eins, was? Jetzt muss ich ja jeden Bogen einzeln scannen!“ Die Entschuldigung, dass es nicht meine Idee wäre mit den unterschiedlichen Barcodes, ersparte ich mir und brummte nur, als könnte ich nicht sprechen. Um meinem Einkauf besser auf den Grund zu gehen, kneteten und bogen ihre schuppigen Hornhände meinen Kauf, ratschten an den Kanten vorbei und sortierten die Dreierstapel einzeln aus. „Drei.“ – Piep. – “ Nochmal drei.“ – Piep. – „Hmm.“ – Piep. – Nach jedem Scannerpiepen legte sie das schon Gescannte unachtsam auf einen Stapel, bog und zog die nächten drei Bögen vom Stapel, der in ihrer Hand klemmte. Piep. – „Drei.“ – Piep. – Der Lerneffekt war offensichtlich gering. Bei jeder Farbe zählte sie erneut nach. Es waren immer drei. Sie hätte mich auch fragen können. Ich hätte es auch ungefragt sagen können, aber ich war gelähmt. Diese Frau entweihte soeben meinen Kauf. Grade war alles noch perfekt, grade, glatt, einheitlich. Nun lagen verbogene Papiere kreuz und quer vor mir. Was glaubte diese Frau eigentlich, wer sie ist? Zehn dieser Bögen waren so teuer wie 500 Blatt ordinären Druckerpapiers. Doch diese Person tut so, als würde sie dazu verdonnert sein, im Feinkostladen Pansen zu zählen. – Piep. – „Zwanzichfuffzich. Kundenkarte?“ – Ich gab ihr brummend Gewünschtes und sah, wie sie den unsortierten Stapel von der Oberkante einer viel zu großen Plastiktüte bis auf ihren Boden fallen ließ. Ruhe bewahren!

Ich wundere mich selbst, dass ich nichts gesagt habe. Nicht mal meine Mimik sagte ihr offensichtlich, was sie da grade anrichtete. In einer anderen Welt hätte ich ihr den Kiefer gebrochen.

 

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