Wartende Kunden

Früher, als ich noch klein war, ging ich gerne zur Post. Da saß ein Mann mit einer dicken Brille hinter dem Schalter und kannte meinen Namen. Es gab – wenn überhaupt – nur kurze Warteschlangen. Der nette Mann hatte alles, was ich früher brauchte. Sogar schöne Briefmarken zum Briefe verschicken oder sammeln. Und er war auch nicht böse, wenn ich mit meinem Sparschwein kam, in dem fast nur rotes und grünes Münzgeld drin war, um es auf mein Postsparkonto einzuzahlen.

Heute hatte ich die A730. Die A-Karte, sozusagen. So wie geschätzte 729 andere Menschen heute schon vor mir. Diese Karte bekomme ich nun, wenn ich zur Post gehe. Hups, Falsch! Richtig muss es heißen: Postbank Finanzcenter, denn der Wind hat sich gedreht. Früher zahle man bei der Post Geld auf sein Konto ein, heute kann man bei der Postbank Briefmarken kaufen*. Bis vor einiger Zeit traute die Post(bank?) den Kunden noch zu, selber Warteschlangen zu bilden, heute muss man an einem Automaten eine Nummer ziehen, die dann in naher Zukunft zusammen mit einer Schalternummer auf einem Bildschirm erscheint. Übrigens wird den Kunden nicht nur die Fähigkeit abgesprochen, Schlangen zu bilden, sondern auch die Fähigkeit, Nümmerchen an einem Automaten zu ziehen, der nur über einen einzigen Knopf verfügt: Neben dem Automaten stand eine Mitarbeiterin, die den Knopf bediente.

Auf dem Nummernzettel ist neben der Wartenummer und umseitiger Werbung auch Datum, Uhrzeit und die Anzahl aktuell wartender Kunden vermerkt: 52, als ich den Zettel zog. Eine Zahl ist erst einmal nur eine Zahl, aber mangels Schlangenbildung und fehlender Sitzgelegenheiten verteilten sich die Wartenden recht homogen im gesamten freien Bereich der Postbank-Filiale. Dank Proxemik zwischen fremden Menschen kann man sich rasch ausmalen, wieviel Platz 52 Menschen einnehmen. Richtig. Der Raum war quasi voll. Das ist das Gute an Warteschlangen: Sie sind platzökonomisch, weil man sich daran gewöhnt hat, in Warteschlangen relativ eng zu stehen, oder im Wartezimmer eines Arztes relativ eng zu sitzen, wogegen man ansonsten eine adäquate Entfernung zu anderen Wartenden pflegt.

Und jetzt kommt die große Überraschung: Während ich also zusammen mit den anderen 52 Menschen wartete, verschloss ein Mitarbeiter mit Glastürelementen den Eingangsbereich und fungierte anschließend als Türsteher. Man muss nicht Lassi heißen, um an dieser Stelle bemerkt zu haben, dass sich bei über vier Duzend wartenden Kunden zwei Mitarbeiter (von ca. zehn) damit beschäftigen, keine Kunden mehr reinzulassen bzw. Wartemärkchen zu verteilen.

Liebe Post(bank), ich fasse mich mit meiner Meinung über Deine Kundenorientierung kurz. Ich glaube, du hast Dich vergaloppiert.

 

*Apropos kaufen: nun heißt es nicht mehr Post, sondern Postbank, aber nun gibt es auch wieder Angebote von T-Com (oder heißt es wieder Telekom) zu kaufen. Und Öko-Strom auch. Und Glücksspiele von Faber. Und Kaffeeprodukte für die Wartenden und… Ja spinnen die denn? Ich habe mich ja gut dran gewöhnt, dass es in dem Laden, wo man ab und an Fahrräder oder Laptops kaufen kann, auch ganzjährig Kaffee bekommt, aber muss ich denn in der Postbank auch Glücksspiele kaufen können?

5 Gedanken zu „Wartende Kunden“

  1. Ja lieber Jörg, was soll ich sagen: du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich rege mich genau darüber auch schon auf, seit es dieses neue Ding gibt!

  2. Dieser nette Herr mit der dicken Brille hieß übrigens HERR WITT! Auch ich fand den Service in der wahrscheinlich kleinsten Postfiliale Deutschlands toll. Anfangs hatte er z.B. seinen Schalter nur im Ladenlokal der Heißmangel!

  3. @Heike: Danke, Schwesterherz. Ich vergesse ja so einiges, aber an seinen Namen konnte ich mich noch erinnern. Ich wollte den Namen nur aus Gründen der Anonymität nicht hier reinschreiben…

  4. also ich sag mal so:
    ich sehe den guten willen der post. mit den wartemarken wird das system etwas gerechter, ansonsten steht man ja immer an der falschen schlange.
    der jungen dame, die den job hat die marken auszugeben, gebe ich den tipp einer nahkampfausbildung. so viel streitlust habe ich selten erlebt. und die leute meckern erstmal immer wenn sie sich an was neues gewöhnen müssen.
    aber fakt ist: es gibt immer noch zu wenig mitarbeiter und es gibt zu wenig warteplatz. thomas hat einer mitarbeiterin einen verbesserungsvorschlag gemacht: eine anzeigetafel auch draußen aufzustellen, so dass man in der wartezeit kaffee trinken kann oder tickets im veranstaltungsshop kaufen oder im sommer einfach nur draußen sitzen. das wurde sogar schriftlich notiert und vielleicht sogar weitergegeben?

  5. Mal so als Prophet:
    Das wird überall so kommen. Ein Blick nach Schweden genügt (Oder ein Wochenend-Urlaub da):

    Die haben das (unter anderem) bei:
    Post, Bahn, Apotheke, Computer- und Elektronik-Ketten, Bank, an jedem „Service-Counter“, Bezahlservice, … überall wo Leute (ohne großen Einkaufswagen) auf irgendwelche Kassen oder Dienstleistungen warten.

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