Gesellschafter=Staatsbürger?

Nach einer Diskussion mit Thomas über die Komplexität von Steuererklärungen habe ich einen Text ausgegraben, den ich vor einigen Monaten geschrieben, dann aber nicht veröffentlicht habe. Vielleicht stimmt mir ja jemand zu… Hier ist er nun:

Bereits heute wird öffentlich über die Wahlstrategien der nächsten Bundestagswahl nachgedacht, obwohl die Legislaturperiode erst Halbzeit hat. Heißer Themenkandidat ist – wie in scheinbar jedem Wahlkampf – die Steuerpolitik. Aber anstatt die entspanntere Finanzlage in Deutschland zu nutzen, ein altes Wahlversprechen der Realität näher zu rücken, damit eine Steuererklärung endlich auf einem Bierdeckel Platz findet, wird wieder um Prozente gefeilscht und über neue Regelungen diskutiert, die das Steuersystem angeblich noch gerechter machen. Dabei jedoch auch immer komplizierter. So kompliziert, dass nicht nur der Bürger resigniert, sondern auch Steuerbeamte selbst den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Wie soll man als Bürger einem System vertrauen und dieses System als gerecht empfinden, dessen Zusammenhänge man nicht versteht und das selbst Experten überfordert?

Gesellschafter zu sein heißt, eine echte Teilhabe zu besitzen, mündig zu sein und Verständnis von inneren Vorgängen erlangen zu können – insofern man dies anstrebt. Doch hat eine Gesellschaft Mechanismen etabliert, dessen Komplexität den Blick auf das Ganze versperrt, ist es mit Teilhabe und Verständnis nicht weit her. Dann werden aus Bürgern, aus denen ein Staatbesteht, finanzielle Energielieferanten, die einen Staat betreiben, ohne Verständnis für ihn und seine Innenwelt zu haben. Der Staatsmechanismus hat so viele Reibungsverluste, dass in ihm viel Energie vernichtet wird, die anderswo für Antrieb und Vorankommen sorgen könnte. Warum ihn also mit Energie versorgen und die Energie nicht bei sich behalten? Warum nicht Steuerschlupflöcher nutzen, Hinterziehen und in Steuerparadiese flüchten? Anstatt das System mit immer neuen Regeln und Gesetzen zu stopfen, wäre es an der Zeit, Klarheiten zu schaffen und Staatsbürger wieder zu Gesellschaftern zu machen, indem man in die Lage zurückkommt, Sinn zu vermitteln.

Wer ein Warum im Leben kennt, der erträgt fast jedes Wie. Wer weiß, warum er lebt, der kann Leid ertragen.

Friedrich Nietzsche

Bürger, die in Ihrem Handeln Sinn empfinden und Effekte verspüren, werden vielleicht das Gemeinwohl als hohes Gut wiederentdecken und so handeln, wie es langfristig für eine gesunde Gesellschaft gut ist. Wer genau weiß, warum welche Steuern gezahlt werden müssen und was damit finanziert wird, interessiert sich nicht dafür, wie groß die zweite Nachkommastelle bei den Steuerprozenten ist. Und durch geringere Reibungsverluste für den Betrieb des Staats könnten wir Energie sparen.

Energie für Dinge, auf die wir später mal stolz sein könnten.

Ein Gedanke zu „Gesellschafter=Staatsbürger?“

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