Störende Schönheit

In schönen Städten zu wohnen ist schöner, als in hässlichen Städten zu wohnen. Ich wohne in Aachen. Aachen ist schön.

Herrlich ist es, an lauen Sommertagen auf dem Marktplatz zu sitzen und sich an den geschmackvoll renovierten Gebäuden ringsum zu erfreuen. Dann ist Aachen sehr entspannt und enspannend. Schön ist es auch, durch die Einkaufsstraßen zu schlendern und hier und da eine neue Geschäftstätigkeit zu durchstöbern, in der sich ein freundlicher Mensch Gedanken darüber macht, wie er anderen freundlichen Menschen im Tausch gegen ein bißchen Geld noch mehr Freude bereiten kann. In Aachen riecht es oft nach Schokolade, nach Printen, nach Heilwasser. Und wenn man ein paar Meter vor die Stadtgrenzen geht, riecht es rasch nach grünen Wiesen, nach Wald oder auch danach, wenn sich eine Milchkuh Pipi in die Hose gemacht hat. Landidylle direkt vor einer kleinen Großstadt. Wie schön!

Im Dezember riecht Aachen jedoch nach Seniorengymnastik und englischen Teenagern. Und hektisch ist es auch. Nein. Es macht mich hektisch. Super RTL würde vor den imaginären Filmbereicht trailern „Schlürfen, schlendern, schwafeln – Vorweihnachtsterror im Dreiländereck“. Warum es anders ist in der Vorweihnachtszeit? Weil Aachen zwei seiner schönsten Plätze vor Weihnachten mit uniformierten Holzverschlägen möbliert, in denen eingemummelte Menschen Zeugs verkaufen. Alternativ auch Kram, Mumpitz und – wie der Aachener sagen würde – Stellimweeech. Mit langem eeeeeeee. Zwischendrin gibt es auch Holzbuden mit warmem, schäumendem Rotwein und Angebote von Wurst und süßem Naschwerk.

All das – und die schöne Stadt drumrum – ist der Grund, warum jährlich zur Vorweihnachtszeit busseweise Menschen aus ganz Mitteleuropa nach Aachen gefahren werden. Menschen im Vorweihnachtsmodus. Nicht besonders gut gelaunt schauend. Nicht besonders motiviert wirkend. Nicht besonders rücksichtvoll denen gegenüber, die nicht grade den ganzen Dezember rumbummeln und sich auf Weihnachtsmärkten herumtreiben können.

2 Gedanken zu „Störende Schönheit“

  1. Wie meinte schon Elias Canetti:

    „In einer wirklich schönen Stadt läßt sich auf Dauer nicht leben –
    sie nimmt einem die Sehnsucht.“

    Vielleicht muss Aachen deshalb zuweilen Schönheit lassen.
    Damit die Sehnsucht bleibt!

  2. …und hier in Leiden? Hier hängen in jedem Reisebüro Plakate, die „kerstshopping in Duitsland“ bewerben. Drei Tage übern Rhein schippern und alle möglichen Weihnachtsmärkte lekker mitnehmen.
    Neulich war ich in Hannover und vor dem Hauptbahnhof duftete es nach gebrannten Mandeln und Schmalzgebäck und von leiser Weihnachtsmusik untermalt drehte die Kindereisenbahn ihre Runden.
    Da werden mir schon die Augen feucht!
    (Vielleicht habe ich deshalb dieses Jahr die ersten Weihnachtskugeln meines Lebens gekauft und die Wohnung bis in den Giebel dekoriert?)
    Ich fordere etwas mehr Verständnis für Weihnachtskitsch-Nostalgiker!!

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