Meine Gedanken zur Unfallstatistik von Fahrradfahrern

Ich beschäftige mich in den letzten zwei Jahren viel mit dem Thema Fahrradfahren in Städten und in diesem Rahmen auch mit dem Thema Radunfälle und Möglichkeiten zur Vermeidung. Ich weiß, dass man unterschiedlicher Auffassung zur Helmpflicht oder zur Gestaltung von Radwegen (z.B. baulich getrennter Radweg vs. gestrichelter Radschutzstreifen) sein kann. Hier meine Sicht der Dinge mit der herzlichen Einladung zur Diskussion.

Eine Ursache von schweren Unfällen bei Radfahrern sind Abbiegeunfälle, bei denen der Radfahrer übersehen wird und gegen das Auto prallt oder über die Motorhaube geschleudert wird.

Die Forderung, dass sich Autofahrer und Fahrradfahrer besser sehen können, wird vermehrt so umgesetzt, dass sogenannte Radschutzstreifen mit einer gestrichelten Linie auf der Fahrbahn markiert werden und Autofahrer hier nur im Bedarfsfalle fahren dürfen, wenn Sie dabei keinen Radfahrer gefährden. Durch dieses Zusammenrücken sollen die Radfahrer stärker ins Sichtfeld der Autofahrer gerückt werden. Indem man die Radfahrer damit zugleich vom Gehweg trennt, sollen dadurch auch Konflikte zwischen Radfahrern und Fußgängern reduziert werden.

Ich finde die Idee dahinter nachvollziehbar und vermutlich sogar statistisch belastbar. Jedoch werden aus meiner Sicht statistisch unterschiedliche Gegebenheiten statistisch gleichgesetzt und damit die Realität leicht verzerrt abgebildet. Denn aus meiner Sicht kann man nicht Unfall mit Unfall gleichsetzen und Anstreben, eine bloß zahlenmäßige Reduktion zu erreichen. Aus meiner persönlichen Sicht sollte das grundsätzliche Bestreben sein, insbesondere tödliche, lebensbedrohliche und lebenslang einschränkende Unfallursachen zu reduzieren.

Die Schwere von Verletzungen

Statistisch erfasst werden in Deutschland nur leichtverletzte, schwerverletzte und getötete Verkehrsteilnehmer. Schwerverletzt ist nach Definition jemand, der mehr als 24 Stunden stationär behandelt werden muss. Ob die Verletzung lebensgefährlich (z.B. Schädel-Hirn-Trauma) ist oder möglicherweise zu einer lebenslangen gesundheitlichen Einschränkung (z.B. Querschnittslämung) führt, wird nicht erfasst.

Das Verletzungspotential von Unfällen

Das Layout von Straßen mit den unterschiedlichen Zonen für stehende und fahrende Autos, Radfahrern, Bussen, Fußgängern ist sehr vielfältig und kann auch hier nicht diskutiert werden. Ich möchte die Diskussion und meine Meinung dazu jedoch in zwei Varianten ausführen.

Bevor ich die beiden Varianten erläutere, möchte ich jedoch kurz einen physikalischen Aspekt einführen, der häufig vernachlässigt wird: den Impuls. Impuls = Masse x Geschwindigkeit. Bei einem Unfall ist nicht nur die Geschwindigkeit ausschlaggebend für die Unfallfolge, sondern auch die Masse, also das Gewicht der Unfallbeteiligten. Das Gewicht der Unfallbeteiligten ist jedoch extrem unterschiedlich. Gehen wir der Einfachheit halber von folgenden Werten aus (hier geht es nicht um exakte Werte, sondern nur um eine grobe Einschätzung):
Auto mit einem Fahrer (30 km/h): 1.300 kg (Durchschnittliches Gewicht von PKWs)
Fahrrad mit männlichem Fahrer (20 km/h): 100 kg
Männlicher Fußgänger (5 km/h): 85 kg

Meine Idee, den Impuls in die Unfallbetrachtung mit einzubeziehen, ist überhaupt nicht neu und auch statistisch ablesbar: Bei tötlichen Unfällen zwischen Auto und Fahrrad ist in nahezu allen Fällen der Radfahrer der getötete. Ihm fehlt es nicht nur an einer schützenden Zelle, sondern eben auch an der erforderlichen Masse, um dem PKW gefährlich werden zu können.

Variante 1: Der baulich getrennte Radweg
Beim baulich getrennten Radweg liegen Rad- und Fußweg nebeneinander und sind durch eine Bordsteinkante, einen Grünstreifen oder einen Parkstreifen vom fließenden Autoverkehr getrennt. In Kreuzungsbereichen besteht das oben genannte Unfallpotential mit dem Autoverkehr. Ein Konflikt zwischen Fußgänger und Radfahrer ist möglich. Doch was passiert im schlimmsten Falle, wenn sich diese beiden verhältnismäßig leichten und langsamen Verkehrsteilnehmer treffen?

Verletzungen sind wahrscheinlich. Vielleicht ergeben sich sogar schwere Verletzungen. Unfälle mit langanhaltenden Verletzungen oder Todesfolge sehe ich hier jedoch zweitrangig.

Variante 2: Der Radschutzstreifen
Hierbei teilen sich Fahrrad und Auto die Fahrbahn. Das Konfliktpotential zwischen Fußgänger und Radfahrer ist reduziert. Aus meiner Einschätzung steigt jedoch das Konfliktpotential zwischen Fahrrad und Auto in verschiedener Hinsicht:

2a) Der Radfahrer fährt auf der Fahrerseite an den parkenden Autos vorbei. Die Wahrscheinlichkeit, „getürt“ zu werden, steigt dadurch.

In eine sich plötzlich öffnende Tür zu fahren birgt Verletzungsrisiken für den Radfahrer, nur geringe für den im stehenden Fahrzeug sitzenden Autofahrer. Durch den Sturz des Radfahrers ist hier die Möglichkeit einer nachträglichen Verletzung durch den fahrenden Verkehr auf der Fahrbahn gegeben. Immerhin 46% der erfassten Radunfälle entstehen durch unachtsam geöffnete Autotüren.

2b) Der Radfahrer wird übersehen und von hinten oder seitlich vom PKW gerammt, wodurch der Radfahrer zu Fall kommt und verletzt wird.

2c) Der Radfahrer erleidet einen Abbiegeunfall mit einem PKW, obwohl der Radfahrer auf der Fahrbahn fährt.

2d) Der Radfahrer stürzt ohne Fremdverschulden auf der Fahrbahn und wird daraufhin vom fahrenden Autoverkehr erfasst.

Gefühlte Sicherheit

Meine eigene Sicherheit ist gefühlt höher, wenn ich auf einem baulich getrennten Radweg fahre, auch wenn Statistiken etwas anderes aussagen mögen. Ein baulich getrennter Radweg gibt mir das Gefühl, das eigene Schicksal eher in der Hand zu haben. Auf einem Radschutzstreifen, auf dem sich vor mir Türen öffnen und mich permanent Autos überholen, habe ich das Gefühl von Ausgeliefertheit und fehlender Kontrolle.

Die gefühlte Sicherheit ist eine sehr relevante Variable zur Erhöhung des Radverkehrsanteils. Und der Radverkehrsanteil wiederum ist ausschlaggebend für die gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Auto- und Fahrradfahrer.

Kopenhagen macht vor, wie man Straßen neu gestalten könnte und läd zum „Copy & Paste“ ein. Leider ist mir bislang keine deutsche Stadt bekannt, die die Einladung wirklich angenommen hätte.

Die WiWo Green schreibt in Ihrem am 11. September 2014 erschienenen Artikel Artikel  „Laut der Studie sind von den Autospuren getrennte Fahrradwege das effektivste Mittel, um mehr Menschen zum Radeln zu bewegen. So könnten durch den Ausbau der Fahrradwege in Aukland bis 2040 rund 20 Prozent der Einwohner zum Umstieg vom Auto aufs Fahrrad bewegt werden. Dennoch würde sich die Unfallgefahr um 50 Prozent reduzieren.“

Meine Wünsche sind daher: Unfallstatistiken differenzierter aufzeichnen und auswerten, sowie die Übernahme von Best-Practice-Methoden anderer Städte.

6 Gedanken zu „Meine Gedanken zur Unfallstatistik von Fahrradfahrern“

  1. Laut BASt ist nicht nur die Unfalldichte auf Radwegen im Vergleich zur Fahrbahn erhöht, sondern auch die Unfallschwere und zwar sowohl an Knotenpunkten, als auch auf der Strecke:

    Es gibt leider wenig brauchbare Statistiken dazu, aber eine logische Erklärung für dieses für Viele unerwartete Phänomen ist, daß eben das was Du dir oben so ängstlich mit der Betrachtung der kinetischen Energie (KFZ-Führer semmelt von hinten dem Radfahrer mit großer Differenzgeschwindigkeit hinten rein) ausgemalt hast, in der Realität eben nur ziemlich selten vorkommt. Und tatsächlich kommt der Unfalltyp „VU im Längsverkehr“ auf der Fahrbahn nicht nur seltener vor, sondern auch die Folgen sind auf der Fahrbahn nicht schwerwiegender:

    Deine Gedanken weisen IMHO leider mal wieder in die falsche Richtung. Die gefühlte Sicherheit wird von einigen
    KFZ-Führern gestört, also müssen Maßnahmen auch gegen die Störer gerichtet sein und nicht gegen die potentiellen Opfer. IMHO handelt es sich auch um ein soziales Problem.
    Ich hab schon mehrere Tausend Kilometer im weitgehend
    radwegarmen Frankreich abgespult und wurde nicht einmal belästigt oder gar gefährdet. Es gab aber auch keine Reviere die man hätte verteidigen können, zwischen den Ortschaften gibt es ja nicht mal Gehwege und reisende Radfahrer genießen in der Grande Nation des Radspochts, wo aber kaum jemand Rad fährt, den Nimbus des Nationalhelden.
    Dort fühlte ich mich jederzeit sicher und das Radfahren macht Spaß. Deshalb denke ich Maßnahmen müssen darauf abzielen die Situation für Radfahrer auf der Fahrbahn zu verbessern, dort sollen Radfahrer ja auch seit 18 Jahren im Regelfall fahren. Hierzustadt klappt das mittlerweile schon recht ordentlich, was aber nicht immer so war. Leider sind
    immer noch die meisten Radwege rechtswidrig mit einem Fahrbahnverbot verknüpft, obwohl die Stadt das ändern will und leider trauen sich viele Radfahrer immer noch nicht auf die Fahrbahn, obwohl die allermeisten KFZ-Führer recht ordentlich überholen.

    1. Hallo Markus,

      danke für Deinen Kommentar. Hast Du einen Link zu der BASt-Studie, die Du meinst?

      Ich glaube dir sofort, dass es Spaß macht, in der Französischen Provinz eine Radreise zu machen. Worauf ich in meinen Beiträgen eingehe, ist eher der urbane Radverkehr, der sich mit relativ dichtem Autoverkehr mischt.

      Viele Grüße
      Jörg

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