Radverkehrsanteil Aachen

Schon mehrfach las ich die Zahl „11% Radverkehrsanteil in Aachen“ und hatte sie im Hinterkopf. Wenn ich irgendwo warten musste und die Straße sehen konnte, zählte ich schon häufig aus Langeweile Fahrzeuge. Mein Gedanke, wenn es 11% Radverkehrsanteil sind, müsste ja mindestens jedes zehnte Fahrzeug ein Fahrrad sein – jedenfalls über’n Daumen. Um die Einleitung abzukürzen: ich bin nie auf diesen Anteil gekommen. Immer waren es mehr Autos und weniger Fahrräder. Ich schaffe es sogar häufig die Strecke vom Hansemannplatz bis nach Brand zu fahren, ohne einem einzigen anderen Radfahrer zu begegnen.

Dann wurde mir erklärt, dass Radverkehrsanteil ja etwas anderes bedeute. Der sogenannte „Modal Split“ gibt an, wieviele Wege mit welchem Verkehrsmittel zurückgelegt werden. Es geht also nicht um den Anteil der Entfernungen oder den Anteil im Straßenbild, sondern um eine statistische Erhebung der zurückgelegten Wege – unabhängig von ihrer Entfernung. Elf Prozent der Wege würden also mit dem Fahrrad zurückgelegt heißt es.

So kommt es nämlich, dass diese Zahlen etwas völlig anderes aussagen, als man es vielleicht im Straßenverkehr zu beobachten zu können glaubte. Wenn in einer Statistik Person A von Aachen nach Berlin mit dem Auto fährt und Person B vom Marktplatz bis zum Katschhof mit dem Fahrrad, ist das ein Radverkehrsanteil von 50%.

So kommt man zum Modal Split
Wie wird dieser Modal Split eigentlich ermittelt? Durch messen? Durch beobachten? Nein, durch Befragung, klärt die Präsentation der Stadt Aachen zur Mobilitätserhebung 2011 auf. Insgesamt 13623 Haushalte aus Aachen und der näheren Umgebung wurden eingeladen, an dieser Befragung teilzunehmen. Nur 3449 Haushalte, also etwas mehr als jeder vierte, hat die Einladung angenommen. Das klingt nicht nach viel, aber bei jeder empirischen Erhebung im Sinne der Sozialforschung hat man mit der Beteiligungsquote zu kämpfen. Anhand von Wegeprotokollen wurden dann die prozentualen Anteile der unterschiedlichen Verkehrsmittel errechnet.

Die Entwicklung in der Stadt Aachen
Interessant ist die Nennung der Entwicklung von der Mobilitätserhebung 1990 zur Erhebung 2011, in einem Zeitraum von 21 Jahren also. Hier bleibt der PKW-Anteil bei 51% konstant, der ÖPNV-Anteil stieg von 10% auf 15%, der Radanteil stieg von 10% auf 11% und der Fußanteil sank von 28% auf 22%. Stark verkürzt könnte man zusammenfassen: Die Aachener Fußgänger sind fauler geworden und fahren nun lieber Bus; ansonsten hat sich nichts verändert. Verändern soll es sich aber.

Das Ziel
Aachen möchte seinen statistischen Radverkehrsanteil bis 2020 auf ungefähr 20% verdoppeln. Zu Lasten welches anderen Verkehrsmittels? Vermutlich zu Lasten von keinem. Es würde ja für die Statistik ausreichen, wenn mehr Radfahrten vom Marktplatz zum Katschhof erfasst würden. Oder vom Audimax zum Super C?

Ist eine prozentuale Verdopplung des Radverkehrsanteils überhaupt Ziel des Ganzen? Ich bin mir unsicher. Diese Verdopplung im Modal Split könnte nämlich eins bedeuten, nämlich dass der Autoverkehr absolut gesehen nicht abnimmt, selbst wenn sein Anteil im Modal Split sänke. Wenn die angedrohte Umweltzone wirklich so wenig Effekt hat, wie angekündigt, muss dann nicht das Ziel zur kurzfristigen Reduktion der Emissionswerte eigentlich ganz flach „Weniger Autokilometer“ lauten?

Eine statistische Verdopplung des Radverkehrsanteils klingt gut und ist wissenschaftlich nachvollziehbar. Schließlich ist Aachen ja „Stadt der Wissenschaft„. Tatsächlich hielte ich es aber diesbezüglich mit Münster. Hier gibt es einen Radverkehrsanteil von angeblichen 40%. Warum angeblich? Weil er gefühlt noch höher ist. Apropos „gefühlt“: Radfahren fühlt sich in Münster ganz anders an. Viel normaler, viel akzeptierter, viel gewollter, viel sicherer. Und Münster ist da auch etwas schlauer, was den Slogan angeht, Münster ist nämlich „Stadt der Wissenschaft & Lebensart“. Ich persönlich mag ja Lebensart. Dieser Punkt geht an Dich, Münster!

Ich behaupte, dass statistisch das Gefühl wichtiger ist, als die Statistik, um das Ergebnis statistisch positiv zu beeinflussen.

PS: Ich möchte in der Präsentation der nächsten Mobilitätserhebung bitte keine dreidimensionalen Grafiken mit nur zwei Dimensionen mehr sehen und auch keine gekippten Tortendiagramme. Sonst kichert der Hichert.

Update 16.09.2015:
Auf die trügerische Aussagekraft des Radverkehrsanteils geht auch dieser Beitrag ein: http://www.urbanist-magazin.de/2015/06/berlin-die-verkehrswende-ist-da/
„Weniger als 30% aller Wege werden noch mit dem Auto zurückgelegt. […] 1998 lag der Anteil noch bei 38% der Wege. Das heißt, in etwas über 15 Jahren hat der Autoverkehr ein Viertel seiner Bedeutung verloren. […] Allerdings bedeutet das nicht, dass in Berlin weniger Autos unterwegs sind. Tatsächlich gibt es in Berlin mehr Autoverkehr. Das liegt am Wachstum der Stadt. Die anderen Verkehrsmittel haben noch stärkere Zuwachsraten.“

Ein Gedanke zu „Radverkehrsanteil Aachen“

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